Bei Marketing ohne Marktgeschrei geht es um ein Gegengewicht zum lauten Marketing: Hier lernst du, wie du als Solo-Selbstständige*r mit deinem Content online sichtbar werden und Kund*innen gewinnen kannst, ohne noch lauter brüllen zu müssen. Wir sprechen darüber, wie du mit richtig guten Texten, die richtigen Menschen in deine Welt holst, effizientes Content Marketing betreibst, das dir hilft, statt dich zu stressen und über Mut zur Sichtbarkeit.
Weitere Infos zu mir und meinen Angeboten rund um Website-Texte, Blog und Content Marketing findest du auf meiner Website www.sonjamahr.de.
Wie gewinne ich Kund*innen ohne Druck, Angst oder Manipulation? Wie kann ich mein Marketing ethischer gestalten? Darüber spreche ich in dieser Folge mit Alexandra Polunin.
Alexandra Polunin ist Beraterin für wertebasiertes Marketing und unterstützt Solo-Selbstständige dabei, ihr Thema so in die Welt zu tragen, dass sie nachts ruhig schlafen können. Sie war bereits im vergangenen Jahr zu Gast, als wir über das Thema „Marketing ohne Social Media“ gesprochen haben. Heute möchten wir den Aspekt des ethischen Marketings genauer beleuchten und ich frage Alex, wie Marketing ohne schlechtes Gewissen gelingen kann.
In dieser Folge:
- Wann ist Marketing gut, wann schlecht und wer bestimmt das eigentlich?
- Ist es okay, Rabattaktionen, Charming Prices etc. zu nutzen, oder sollten wir uns davon ganz verabschieden?
- Welche ethischen Prinzipien gibt es und wie können sie uns helfen, die richtigen Marketingmaßnahmen für uns zu finden?
- Welche positiven Beispiele für ethisches Marketing gibt es, von denen wir uns inspirieren lassen können?
- Wird ethisches Marketing heute erwartet bzw. wie hat sich das Kaufverhalten verändert?
- Wie können wir mit dem Gedanken „Mache ich genug richtig?“ umgehen, ohne uns komplett auszubremsen?
Viel Spaß beim Zuhören!
Mehr über Alexandra Polunins Arbeit und auch alle Infos zu ihrem aktuellen Buch „Don’t be evil“ findest du auf ihrer Website www.alexandrapolunin.com
Mehr über mich und meine Arbeit auf meiner Website www.sonjamahr.de
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Sonja Mahr:
Wie gewinne ich Kund*innen ohne Druck, Angst oder Manipulation? Wie kann ich mein Marketing ethischer gestalten? Darüber spreche ich in dieser Folge mit Alexandra Polunin. Sie ist Beraterin für wertebasiertes Marketing und unterstützt Solo-Selbstständige dabei, ihr Thema so in die Welt zu tragen, dass sie nachts ruhig schlafen können. Sie war bereits im vergangenen Jahr zu Gast, als wir über das Thema „Marketing ohne Social Media“ gesprochen haben. Heute möchten wir den Aspekt des ethischen Marketings genauer beleuchten und ich frage Alex, wie Marketing ohne schlechtes Gewissen gelingen kann, welche positiven Beispiele es vielleicht gibt und wo wir starten können, wenn wir uns ein ethischeres Marketing wünschen. Viel Spaß beim Zuhören!
Intro-Musik
Sonja Mahr:
Hallo Alex, herzlich willkommen zurück. Schön, dass du wieder da bist!
Alexandra Polunin:
Hallo Sonja. Ja, vielen Dank.
Sonja Mahr:
Ja, wir haben einen Grund zu feiern. Also nicht nur, dass Alex noch mal zu Gast im Podcast ist – darüber freue ich mich natürlich auch sehr –, sondern es ist auch etwas passiert in der Zwischenzeit, nämlich dein zweites Verlagsbuch ist erschienen. „Don't be evil" heißt es. In deinem vorherigen Buch ging es insbesondere um Marketing ohne Social Media, in deinem aktuellen nun um den Aspekt des ethischeren Marketings. Da dachte ich mir: „Hey, wenn du so ein Thema behandelst, lass uns darüber sprechen." Du schreibst ja in deinem Buch, es geht darum, wie Selbstständigen gutes Marketing gelingen kann. Vielleicht können wir da einsteigen. Was ist denn überhaupt gutes Marketing? Wann ist Marketing gut, wann nicht und wer bestimmt das überhaupt?
Alexandra Polunin:
Ja, sehr, sehr wichtige Frage. Ich glaube, man muss natürlich ein bisschen unterscheiden zwischen einem Buchtitel, der möglichst attraktiv klingt, und zwischen, wie sinnvoll das überhaupt ist, von gut und schlecht zu reden. Der Titel des Buches hat so ein bisschen an Googles Motto angespielt. Ich weiß nicht, ob dir das bekannt ist. Das war lange Zeit tatsächlich Googles Motto, also "Don't be evil". Und die haben das vor ein paar Jahren still und heimlich irgendwie aus ihrem Code of Conduct gelöscht. Und dann ist ja die Frage: Warum? Was hat er das für einen Grund? Und ich fand das sehr spannend, weil Google ja gerade nicht als Unternehmen bekannt ist, das so viel Wert darauf legt. Also daher vielleicht so der Hintergrund zu dem Titel. Und was jetzt deine Frage angeht, ich glaube nicht, dass das irgendjemand bestimmen kann. Also auch ich mit dem Buch will das überhaupt gar nicht bestimmen. Ich glaube auch nicht, dass du das bestimmen solltest oder irgendjemand bestimmen sollte, sondern ich glaube, das ist halt etwas, was wir aushandeln sollten, worüber wir reden sollten. Gut und schlecht oder richtig und falsch sind natürlich sehr große, sehr allgemeine vage Begriffe und interpretationsbedürftige Begriffe. Das heißt, ich würde mir einfach wünschen, dass wir mehr darüber reden.
Also nicht, dass wir immer nur darüber reden: „Ja, wie kann ich denn jetzt mehr Klicks bekommen oder meine Conversion-Raten erhöhen oder, oder, oder, sondern dass wir auch anfangen, mehr darüber zu reden:
- Was machen wir denn eigentlich, wenn wir jetzt diese Wörter verwenden oder wenn wir diese Bilder verwenden oder wenn wir diese Narrative bedienen?
- Ist es okay, das zu machen? Und geht es vielleicht irgendwie anders?
Das sind so die Fragen, die ich mir mehr in den Marketingdiskursen wünsche und gar nicht so sehr, dass sich jetzt jemand hinstellt und sagt: „So soll es sein!"
Sonja Mahr:
Ja, also quasi eine neue Perspektive vielleicht eröffnen auf das Thema Marketing. Finde ich sehr, sehr spannend. Es ist aber ja wahrscheinlich unbestritten – ich sage mal, dass es höchstwahrscheinlich so ist –, dass viele Selbstständige mit Marketing hadern. Ich erlebe das ganz häufig, dass Menschen zu mir kommen und sagen: „Oh, Marketing? Muss ich das denn wirklich so machen? Wenn ja, dann Marketing ohne mich." Und du sagst in deinem Buch, das liegt zum größten Teil an fragwürdigen Marketingtechniken, an psychologischen Tricks, die verwendet werden, etc. Nimm uns da vielleicht mal mit, dass wir das Thema so ein bisschen weiten. Was ist da so präsent? Was sind so die häufigsten Dinge, die von den Menschen abgelehnt werden im Marketing?
Alexandra Polunin:
Es ist tatsächlich, finde ich, total individuell. Es gibt Menschen, die finden es schon total seltsam, zum Beispiel einen Freebie zu haben. Man sagt jetzt nicht mehr Freebie, einen Leadmagneten, weil sie denken: „Ich weiß gar nicht, was ich da machen soll als Leadmagneten und irgendwie hat das für mich was von Köder und muss ich das machen?" Da fängt es für viele schon an und andere sagen, ich möchte zum Beispiel überhaupt gar nicht launchen. Also ich finde, dieses ganze Prinzip, so einen Hype aufzubauen und für wenige Tage dann so die Türen künstlich zu öffnen, finde ich irgendwie befremdlich. Also auch das ist eine Praxis, die nicht bei allen Menschen so gut ankommt und ganz viele hadern, glaube ich, auch mit dieser typischen Marketingsprache. Also das, was wir so häufig hören und lesen, wo wir denken, Marketing muss so sein, da kannst du bestimmt auch viel dazu sagen, und da ist einfach die Frage: Ja, muss es überhaupt so sein? Also müssen wir jetzt sagen: Jetzt schnell, nur noch heute, melde dich an oder nur noch heute, 70% Rabatt oder keine Ahnung was. Also das sind so ganz, ganz, ganz individuelle Geschichten. Ich glaube, ganz viele Dinge sind für uns auch schon mittlerweile so selbstverständlich geworden, dass sie uns auch gar nicht mehr als problematisch auffallen, also dass wir denken …
Oder vielleicht denken wir auch gar nicht. Wir sehen halt, dass das alle Menschen machen und kommen gar nicht auf die Idee, dass es jetzt auch anders ginge oder dass das ein Problem sein könnte. Vielleicht so ein ganz banales Beispiel, aber ich habe zum Beispiel auch früher bei der Cookie-Leiste immer diesen Annehmen-Button in grün gehalten. Ich weiß auch gar nicht, ob das quasi so war, weil dass das Tool mir das vorgegeben hat oder ob ich das überall gesehen habe. Ich habe das wirklich überhaupt gar nicht bewusst wahrgenommen, was ich da gemacht habe. Aber wenn man sich zum Beispiel überlegt: „Okay, warum kann man nicht alle Alternativen, was jetzt die Daten angeht, gleichwertig nebeneinanderstellen, auch mit den Farben zum Beispiel? Warum muss ich jetzt diese niedrigen Datenschutzbestimmungen farblich hervorheben?" Du siehst, man kann sich schon in sehr, sehr viele Details reinnerden und man kann schon sehr, sehr viel reflektieren. Ich glaube tatsächlich nicht, dass es da irgendwo eine Grenze gibt. Man muss nur vielleicht aufpassen, dass man sich da nicht allzu lähmt, also dass dieses Reflektieren weiterhin produktiv bleibt und dass man nicht denkt: „Dann sage ich jetzt halt gar nichts mehr oder mache gar nichts mehr.
Das ist überhaupt auch gar nicht meine Absicht.
Wir sehen Dinge, die alle machen und kommen gar nicht auf die Idee, dass es auch anders ginge oder, dass das ein Problem sein könnte. Ich würde mir wünschen, dass wir im Marketing mehr über Fragen reden wie "Ist es okay das zu machen und geht es irgendwie anders?" (Alexandra Polunin)
Sonja Mahr:
Ja, ich finde, da steckt schon so viel drin. Also gerade dieses, was du jetzt zum Schluss gesagt hast, dieses „Wenn ich dann nicht alles richtig mache, mache ich dann lieber gar nichts." Das ist auch was, was ich tatsächlich an mir beobachte manchmal, auch an vielen meiner Kundinnen beobachte. Vielleicht kann man es vergleichen mit einem Thema wie Nachhaltigkeit oder so was wie: „Oh, ich ernähre mich vegetarisch oder vegan, aber ich kaufe vielleicht nicht die Kleidung immer zu 100% aus einem ganz, ganz ethisch gut vertretbaren Herkunftsland, Ort oder Werkstätte." Vielleicht ist es dann auch schon ein guter Weg, so für unsere Zuhörer: innen mitzunehmen, dass wir uns überhaupt Gedanken machen, dass wir mal schauen, was ist denn überhaupt alles präsent, ist schon gut. Also wenn ich dich richtig verstanden habe, ist damit schon ganz viel getan.
Alexandra Polunin:
Total. Also ich bin da total bei dir. Es gibt ja diesen Spruch: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen." Also das bedeutet, wir sind halt nun mal, wir leben in einer Welt wo es eben, weiß ich nicht, Ausbeutung gibt und ganz fragwürdige Praktiken gibt in jedem Bereich. Und natürlich können wir quasi immer zu wenig tun auf so eine bestimmte Art und Weise. Aber ich glaube, was jetzt das Thema Marketing angeht, ist es ganz wichtig, sich bewusst zu machen, dass ethisches Marketing nicht das Ziel ist. Also es gibt nicht eine To-Do-Liste und da stehen jetzt zehn Punkte drauf und ich hake die nacheinander ab. Und deswegen gibt es zum Beispiel auch im Buch keine Checkliste, weil es so was einfach nicht gibt. Also mit jedem neuen, weiß ich nicht, Blog-Artikel oder Social-Media-Post oder mit jeder neuen Kooperation kann ich mir eigentlich dieselben Fragen stellen. Das heißt, ich bin eigentlich nie fertig. Das ist ein Prozess. Und wie du schon sagt, ist einfach super viel gewonnen, wenn man sich auf den Weg macht und kleine Schritte geht und sich vielleicht einen Bereich vornimmt, wo man sagt: „Okay, vielleicht will ich mich in den nächsten drei Monaten jetzt damit beschäftigen."
Also vielleicht: „Wie bepreise ich meine Produkte?" oder „Welche Strategien nutze ich?" Oder vielleicht: „Will ich eine Plattform verlassen und eine Alternative finden? Was auch immer. Ich glaube, es ist völlig okay und natürlich auch total verständlich, dass man da langsam vorwärtsgeht und eins nach dem anderen macht.
Sonja Mahr:
Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, da können wir schon mal ein ganzes Stück Druck rausnehmen, aber umso schöner und wichtiger auch, sich mal mit der anderen Seite zu beschäftigen. Du hast eingangs gesagt, dieser Titel stammt von Google. Ich wusste das vorher nicht. Ich habe das bei dir jetzt dann gelernt in deinem neuen Buch und fand das auch ganz krass. Ich dachte: „Mh, merkwürdiger Bruch, so in der Wahrnehmung. So habe ich Google gar nicht wahrgenommen. Und ich glaube, so ging es mir auch in deinem vorherigen Buch, No Social Media. Da hast du, glaube ich, auch über die Facebook-Ursprünge gesprochen, dass das ja mal so ein Bewertungstool war. Also wie sieht jemand quasi aus?
Alexandra Polunin:
Ja, Frauenbewertungstool sogar noch.
Sonja Mahr:
Genau, Frauenbewertungstool. Fand ich auch richtig krass. Also allein da mal so ein bisschen die Augen zu öffnen, was gibt es denn da alles und warum ist das so?
Und vielleicht noch ein Punkt zu der Sprache. Wir beide kommen ja von der Germanistik. Ich finde, die Sprache im Marketing, da gibt es noch ganz viel Luft nach oben. Vielleicht einfach mal eine Einladung an alle, die uns zuhören, mal hinzuhören: Wie werdet ihr eigentlich angesprochen im Marketing? Und wenn euch etwas missfällt am Marketing, ist es vielleicht "nur" die Sprache, gar nicht die Handlung dahinter? Gerade im Marketing dieses Leute ködern, die Kund: innen an die Angel bekommen und so. Also es ist so eine ganz abwertende Sprache oftmals. Ich finde, da ist noch echt viel möglich an wertschätzenderer Ausdrucksweise, um nur einen Aspekt mal rauszugreifen von denen, die du gerade aufgelistet hast.
Jetzt ist es so im Marketing, es gibt ja dieses berühmte FOMO, Fear of Missing Out, also diese Angst, etwas zu verpassen. Und ich habe mir das mal so ein bisschen genauer überlegt. Im Grunde begegnet uns FOMO ja überall. Also wenn ich samstags die Angebote vom Supermarkt nächste Woche angucke, ist es ja im Prinzip auch FOMO, weil ich weiß, oh, nur nächste Woche, weiß ich nicht, sind die Gurken billiger. Keine Ahnung. Und die Woche danach nicht mehr. Nächste Woche ist meine Gurkensalat-Zeit, ganz einfaches Beispiel mal. Oder Ende November, wir kennen das alle, die berühmte Rabattschlacht, die dann losgeht in ganz ganz vielen Unternehmen. Wie ist es denn da? Sollten wir solche Vorgehensweisen dann grundsätzlich für uns hinterfragen? Ist es schon okay, Rabatte anzubieten, Aktionen zu machen? Wie können wir da so ein gutes Maß für uns finden und "unser" richtig?
Alexandra Polunin:
Ja, also auch hier, ich glaube nicht, dass ich jetzt in der Position bin, quasi zu sagen, was wir machen sollten oder was du machen solltest, sondern das ist wieder so eine Einladung zum Überlegen. Und ich finde, die erste Frage kann halt immer lauten: Warum mache ich das? Also was ist eigentlich meine Intention dahinter? Und ich glaube, dass damit auch schon ganz viele Antworten freigelegt werden. Also zum Beispiel, wenn ich jetzt feststelle, ich mache es eigentlich nur, weil ich denke, dass ich es muss, weil ich überall sehe, dass es andere machen. Das wäre für mich so der erste Punkt, mal genauer hinzugucken, so: Warum denke ich, dass ich es muss? Und will ich es eigentlich? Und all diese Fragen. Also da lohnt es sich, einfach mal die Intentionen kennenzulernen, warum man das macht. Aber ich glaube grundsätzlich, dass FOMO etwas ist, was es auch schon immer gab. Also ich stelle mir das irgendwie vor, dass Steinzeitmensch A sagt: „Da hinten ist ein Mammut, und Steinzeitmensch B sagt: „Ja, schnell, sonst ist es weg", oder keine Ahnung. Also so wird das schon immer gewesen sein. Wir haben halt nur seit wenigen Jahren einen Begriff dafür, aber die Angst, etwas zu verpassen, ich glaube, das ist eine zutiefst menschliche Angst.
Also es ist nichts, was jetzt per se nur durch digitale Medien jetzt so passiert. Vielleicht wird es verstärkt, aber die gab es schon immer und die wird es auch immer geben. Insofern, glaube ich, kann man das vielleicht auch nicht immer vermeiden, diese Angst auszulösen. Also angenommen, ich sage: Hey, jetzt in drei Monaten gehe ich für ein Jahr in Elternzeit, da kann es natürlich auch sein, dass jemand denkt: „Oh nein, aber ich wollte in drei Monaten buchen. Und was jetzt?" Aber natürlich ist es ein total nachvollziehbarer Grund, warum ich da nicht arbeite. Und natürlich darf ich kommunizieren, dass ich in drei Monaten in Elternzeit gehe. Das wäre ja absurd, wenn ich das verheimlichen würde, nur weil ich Angst hätte, damit jetzt FOMO auszulösen. Insofern kommt es halt sehr darauf an, auf den Kontext. Also auch hier, es gibt überhaupt keine einfachen Antworten auf diese Frage, sondern es geht wirklich darum, sich das anzugucken, die Motivation dahinter zu verstehen, die Intention dahinter zu verstehen, das ein bisschen besser einzuordnen. Und ich glaube auch, dass es auch ein bisschen drauf ankommt, wie teuer zum Beispiel ein Produkt ist. Also eine Gurke, okay, ich weiß nicht. Ich kann verstehen, dass es im Prinzip dasselbe Prinzip ist bei diesen Prospekten, aber jetzt eine Gurke für 90 Cent oder 1,20 Euro, aber wenn wir jetzt an Hochpreiscoachings denken, die irgendwie 100.000 Euro kosten oder noch mehr und Menschen wirklich Kredite aufnehmen müssen, um sich diese Coachings leisten zu können, ist es halt einfach ein ganz anderes Kaliber. Und dann würde ich sagen, ist auch die Qualität dessen, was ich da mache, vielleicht auch eine andere.
Sonja Mahr:
Das stimmt. In dem Kontext ist die Gurke vielleicht nicht das beste Beispiel.
Alexandra Polunin:
Nein, aber finde ich schon, weil es macht ja einfach so diese Bandbreite auf an Produkten, weil natürlich gibt es auch kostenlose Dinge wie Newsletter oder es gibt einen spannenden Instagram-Kanal und ich kann auch sagen: „Hey, folge mir, um keine Updates mehr zu verpassen." Das ist genauso FOMO, aber das ist vielleicht einfach nicht ganz so dramatisch, als wenn es eben etwas wäre, wo ich wirklich einen massiven Nachteil dann daraus hätte.
Sonja Mahr:
Also wir können uns fragen: „Warum mache ich etwas so? Und da mal den Gründen nachgehen. Nun wird eine häufige Antwort wahrscheinlich sein, "weil ich Umsatz machen möchte, mache ich zum Beispiel eine bestimmte Aktion. Ist ein legitimer Grund oder siehst du das anders? Gibt es irgendwas, was wir da berücksichtigen sollten?
Alexandra Polunin:
Man kann natürlich mit Umsatz, mit Profit, mit Wachstum eine Menge Dinge begründen und auch unethisches Handeln. Und nun mal, ein ganz konkretes Beispiel zu geben: Das ist ein gutes Beispiel dafür, warum es für mich nicht ausreicht, bei Unternehmenswerten zu bleiben oder bei solchen Dingen wie Integrität. Es ist schön, wenn ich für mich Werte definiere und wenn ich im Einklang mit meinen Werten handeln möchte, aber man sieht da so schön daran, dass man da auch eigentlich Dinge machen kann, dadurch oder legitimieren kann, die vielleicht problematisch sind. Also bestes Beispiel: Max Zuckerberg. Ich kann sagen: "Hey, mir ist Wachstum wichtig", da bin ich sehr schnell bei „Ich will mich auch nicht begrenzen lassen in dem Wachstum", bin ich sehr schnell bei „Dann manipuliere ich halt" oder „Dann lasse ich Hatespeech zu", oder „Dann lasse ich Fakenews zu, weil ich will ja wachsen". Und dann sind wir bei diesen Desinformationsmaschinen, die wir gerade haben. Das bedeutet, zu sagen, ich möchte Umsatz machen oder mir ist Wachstum wichtig oder ich habe ein wirtschaftliches Interesse, ist natürlich absolut verständlich. Das habe ich auch, nur die Frage ist immer: In welchem Rahmen habe ich das? Und habe ich irgendwelche, irgendwas darüber hinaus, was so überindividuell ist, was ich nicht nur für mich, für mein Leben, für mein Business nutze, sondern worauf wir uns vielleicht als Gesellschaft verständigen könnten.
Und deshalb, und das habe ich auch im Buch gemacht, schlage ich einfach vor, dass es ethische Prinzipien gibt, die auch über diesen Werten stehen. Also Werte sind okay, um in vielen Situationen vielleicht Entscheidungen besser treffen zu können, Orientierung zu haben, aber darüber hinaus können wir uns noch andere Fragen stellen. Und deswegen würde ich sagen, ja, natürlich ist es berechtigt, ein wirtschaftliches Interesse zu haben, aber gleichzeitig können wir eben auch überlegen, ob es nicht auch Dinge gibt, die das so ein bisschen begrenzen sollten.
Sonja Mahr:
Ja, ist ja im Prinzip auch wie alles in unserem Leben: Wie kann ich mich entfalten? Wo kann ich meinen Platz finden? Aber ohne andere dabei, negativ zu berühren, denen zu schaden, et cetera. Du hast jetzt diese ethischen Prinzipien angesprochen. Welche Fragen können wir uns denn zum Beispiel stellen?
Alexandra Polunin:
Ja, auch das ist natürlich eine Interpretationsgeschichte. Es gibt niemanden, der sagt, diese fünf Prinzipien gelten und keine anderen. Ich habe im Buch eben drei verschiedene Prinzipien vorgeschlagen, von denen ich denke, dass sie sehr, sehr wichtig sind für uns als Gesellschaft. Und das erste ist zum Beispiel das Thema Verantwortung. Also ich finde, dass Selbstständige und Unternehmen eine große Verantwortung tragen. Und natürlich, je mehr Menschen ich erreiche mit dem, was ich mache, desto größer ist auch die Verantwortung. Also wenn ein Unternehmen, weiß ich nicht, 5 Millionen Follower auf Instagram hat, irgendwas sagt oder postet, auch mit geringer organischer Reichweite werden sie Menschen erreichen. Und natürlich haben sie da eine Verantwortung, was sie da sagen und was sie da tun und welche Praktiken sie auch normalisieren und welche Sprache sie normalisieren. Ich glaube, dass diese Verantwortung auf mehreren Ebenen passiert. Also Selbstständige vor allem haben noch eine Verantwortung, sich selbst gegenüber. Sie haben eine Verantwortung Mitarbeitenden gegenüber, Kund: innen gegenüber, aber auch der Gesellschaft und der Umwelt. Also das sind alles so Ebenen, wo wir sagen, da tragen Selbstständige und Unternehmen die Verantwortung. Und noch mal auf dein Beispiel zurückzukommen mit dem Profit: Wir können das miteinander verbinden.
Wir können sagen: Ich trage mir gegenüber eine Verantwortung. Zum Beispiel will ich mein Leben finanzieren. Ich will genug Geld zum Leben haben, aber ich trage auch die Verantwortung anderen Menschen gegenüber, vielleicht meinen Kund: innen oder den Menschen, die sich für meine Dienstleistungen interessieren. Und was passiert eigentlich mit denen, wenn ich diese Art von Marketing an den Tag lege? Und dann sieht man schon, kann es auch zu einem Konflikt kommen zwischen dem, was vielleicht für mich gut ist, zwischen dem, was für andere gut ist. Und da muss man halt wieder überlegen und entscheiden. Und das ist nicht einfach und oft sehr komplex.
Sonja Mahr:
Ja, es ist quasi immer eine Art Ausloten, dass wir uns für bestimmte Handlungen entscheiden. Ich musste gerade an ein Beispiel denken. Im Marketing wird ganz häufig die Verantwortung zurückgegeben. Also da werden bestimmte Vorgehensweisen damit, ich sage mal entschuldigt, dass ja das Gegenüber alleine entscheidet. Dann heißt es zum Beispiel, es wird ja niemand gezwungen zu kaufen. Gleichzeitig werden aber drei, vier, fünf manipulative Techniken angewandt, von denen wir als Marketingmenschen wahrscheinlich wissen, was die auslösen können. Und dann heißt immer nur: „Ja, muss ja keiner kaufen, weil ich stehe ja quasi nicht mit Handschellen dahinter und schleppe den zum Buchen-Button, sondern jeder ist ja selbstverantwortlich." Und das zeigt, finde ich, schon so ein bisschen auf: Nein, nicht unbedingt. Wir haben auch dafür Verantwortung zu tragen, was das, was wir rausgeben, möglicherweise auslösen kann.
Natürlich ist es berechtigt, ein wirtschaftliches Interesse zu haben und deshalb bestimmte Dinge im Marketing zu nutzen, aber gleichzeitig können wir eben auch überlegen, ob es nicht auch Dinge gibt, die das so ein bisschen begrenzen sollten. (Alexandra Polunin)
Alexandra Polunin:
Ja, ich finde, das macht es so ein bisschen zu leicht, diese Haltung, dass die anderen für alles verantwortlich sind und ich trage überhaupt keine Verantwortung für meine Mitmenschen. In so einer Welt möchte ich nicht leben. Natürlich sind wir für andere Menschen verantwortlich. Natürlich können wir jetzt nicht diese Entscheidung für sie treffen, das machen sie, aber wir können natürlich die Entscheidungsfreiheit auch so ein bisschen beschneiden in dem, was wir tun. Und das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Sache. Und das ist vielleicht auch jetzt das zweite ethische Prinzip, das ich wichtig finde. Das ist das Thema Wahlfreiheit und Transparenz, also dass ich transparent damit bin und ehrlich bin mit dem, was mein Produkt ist und wie ich helfen kann und was es überhaupt beinhaltet. Ich kenne zum Beispiel auch Leute, die buchen ein Coaching und stellen dann fest, dass die Coachin, bei der sie buchen, eigentlich gar nicht die ganzen Calls hält. Das wurde aber im Voraus eben nicht so kommuniziert, dass es ein Teammitglied ist. Also es spricht ja gar nichts dagegen, dass es ein Teammitglied macht, aber es spricht was dagegen, das nicht zu kommunizieren. Und dass ich transparent bin, dass ich so eine Informationssymmetrie herstelle, also dass ich nicht mich in eine Position begebe, wo ich so viel mehr weiß, als die Leute, mit denen ich zusammenarbeiten will, ist einfach die Basis dafür, dass Menschen sich aus freien Stücken für oder gegen einen Kauf entscheiden können letzten Endes Das ist auch eine ganz, ganz wichtige Sache.
Sonja Mahr:
Ja, ich dachte gerade auch an eben diese Transparenz. Es ist ja so, als würde ich etwas verheimlichen und dann nachher sagen: „Ja, du hast ja nicht danach gefragt." Aber unsere Kund: innen wissen ja nicht, was sie nicht wissen. Also dass wir da eben auch sagen: „Hey, meine Verantwortung ist es, klar zu sagen, das bekommst du, das sind mögliche positive Folgen davon. Wir können es ja auch immer nicht garantieren, aber dass unser Gegenüber einfach auch einordnen kann: Ja, ist das was, was mich gerade interessiert oder nicht. Und das ist auch was, was ich ganz häufig erlebe, dass Leute eben enttäuscht sind, gerade auch von Coachings, von Marketingunterstützung, weil es dann immer hieß: Ja, du bekommst was, weiß nicht, reich über Nacht und noch fünf Villen am Meer dazu on top. Und das ist gar nicht eingetreten. Dann wird oftmals die Verantwortung wieder zurückgegeben: „Ja, du hast es nicht richtig umgesetzt. Theoretisch war das aber möglich mit unserer Hilfe." Und die Leute stehen dann da und trauen überhaupt niemandem mehr über den Weg. Und das kann ja nicht sein, was wir mit Marketing erreichen wollen.
Alexandra Polunin:
Auch das ist wieder ein gutes Beispiel dafür, wie man Social Proof einsetzt oder Testimonials einsetzt, weil wenn man eben vielleicht die 1% nimmt, die irgendwas Herausragendes schaffen, was ja immer sein kann – ich will das gar nicht anzweifeln –, ist es vielleicht nicht so repräsentativ für die anderen 99%, die das eben nicht schaffen. Auch da muss man, glaube ich, verantwortungsvoll auswählen, welche Stimmen man für das Marketing dann nutzt.
Sonja Mahr:
Jetzt haben wir zwei der Prinzipien angesprochen, möchtest du das dritte auch noch ergänzen?
Alexandra Polunin:
Ich glaube, dass in den Zeiten, in denen wir leben, ist es sehr, sehr ist, dass Marketing auch das ganze Thema Demokratie mit beinhaltet, also dass wir uns auch fragen, wozu wollen wir eigentlich beitragen? Also zu Ausgrenzung und Hass und was wollen wir verstärken oder wollen wir uns wirklich für eine Welt einsetzen, wo Vielfalt und Inklusion und Gerechtigkeit auch vorherrschen? Und das klingt so nach einem Thema, das gar nichts mit Marketing zu tun hat, aber für die Recherche zum Buch habe ich so viele gruselige Beispiele entdeckt, immer noch. Aktuelle Beispiele, wo ganz offen rassistisch, sexistisch geworben wird, wo ich einfach denke, das kann doch nicht sein. Also klar, es gibt viele Fälle, wo es vielleicht subtil ist oder wo man denkt, da brauchst du schon ein gewisses Wissen dafür, aber viele Dinge sind auch wirklich, wirklich offensichtlich und das fand ich schon sehr schreckend. Und ich glaube, dass wenn wir Marketing machen, dass wir erneut wieder auf unsere Sprache aufpassen müssen, dass wir genau gucken müssen, welche Worte wir verwenden. Und was noch mit dazukommt, ist, dass das eigentlich jeder Mensch so ein Unconscious Bias hat, also so eine unbewusste Voreingenommenheit. Und das ist auch überhaupt gar nicht so, dass es da Ausnahmen gibt, sondern wir alle sind ja durch eine bestimmte Erziehung gegangen, wir alle haben eine bestimmte Sozialisation erfahren und bringen natürlich immer gewisse Vorannahmen mit über Menschen.
Wir denken, Kinder sind so, Deutsche sind so, Frauen sind so, keine Ahnung. Oft ist uns das überhaupt nicht bewusst, aber was dann halt passiert, ist, dass wir im Marketing dann unbewusst gewisse Dinge reproduzieren. Und ich will mich da überhaupt nicht rausnehmen. Ich glaube, jeder Mensch hat das. Wichtig ist einfach nur, was dagegen zu tun, also sich weiterzubilden, Bücher zu lesen, vielleicht auch Workshops zu besuchen. Die haben dann auch nichts mit Marketing zu tun, aber es ist einfach wichtig, sich darüber zu informieren, das nicht zu reproduzieren.
Sonja Mahr:
Ja, richtig hilfreiche Impulse, finde ich. Vielen herzlichen Dank. Ich glaube, dieses Thema Haltung im Marketing, auch was du gerade sagtest mit der Demokratie, da könnten wir wahrscheinlich noch fünf eigene Folgen drüber machen. Ich hatte auch schon einige, sagen wir mal, Gespräche darüber, inwiefern sollten wir uns politisch äußern in unserem Business, inwiefern sollten wir Haltung zeigen? Manche lehnen das ganz kategorisch ab und sagen: Nein, Business ist Business. Das hat nichts damit zu tun. Andererseits leben wir in einer Welt und nicht in einem leeren Raum uns herum.
Alexandra Polunin:
Ja, ich würde aber tatsächlich, wenn ich das noch ergänzen darf, ich würde noch ein bisschen unterscheiden zwischen Aktivismus und so einer demokratischen Grundhaltung. Also mir geht es überhaupt gar nicht darum, dass jeder Selbstständige oder jedes Unternehmen jetzt aktivistisch tätig sein muss. Ich weiß, dass das einige machen. Viele Influencer: innen machen das, aber auch viele Unternehmen äußern sich. Das dürfen sie auch weiterhin tun. Das ist okay. Nur, ich fordere das gar nicht, dass das jetzt alle selbstständigen Unternehmen machen, sondern es ist wirklich nur, auch wie du sagst, eine Haltung: Wofür setze ich mich ein? Wir können jetzt ein ganz aktuelles Beispiel nehmen, nämlich das Thema digitale Barrierefreiheit, was ja jetzt seit ein paar Tagen eben, wo es wenn ein Gesetz in Kraft getreten ist. Und für viele Selbstständige wird das zum Beispiel auch gar nicht zutreffen. Also die sind vom Gesetz nicht betroffen. Und trotzdem ist ja die Frage: Wie gehe ich damit um? Also sage ich quasi als Selbstständige: „Das nervt. Schon wieder muss ich da irgendwas umsetzen," oder denke ich: „Okay, das ist eine gute Sache. Ich will, dass das Internet für alle frei zugänglich ist und auch wenn ich vielleicht noch nicht so viel Wissen mir angeeignet habe und wenn ich vielleicht auch das jetzt ein bisschen langsamer umsetze als ein Unternehmen mit zehn Leuten, die einfach nur die dafür zuständig sind, bin ich doch ein Ally und ich unterstütze diese Sache und ich versuche, das nach bestem Wissen und Gewissen umzusetzen."
Also schon diese Haltung zeigt, es geht ja gar nicht um Aktivismus. Es geht darum: „Unterstütze ich die wirklich wichtigen Dinge in der Gesellschaft?" Und deswegen glaube ich nicht, dass Business da Business ist. Also was ist denn neutral? Ich weiß es nicht. Ich finde nicht, dass keine Inklusion das Neutrale ist. Ich finde eigentlich, dass Vielfalt und Inklusion das Neutrale ist, also dass wir Menschen einfach als Menschen begegnen und uns dafür einsetzen.
Sonja Mahr:
Ja, wichtige Ergänzung. Also wir müssen jetzt nicht alle mit den Plakaten rausgehen und sagen, das ist nicht unser Ding. Habe ich auch nicht so verstanden, aber vielleicht noch mal zusammenfassend, aber sich mit diesen Themen beschäftigen. Wie die Barrierefreiheit online, das aktuelle Thema: Ich finde das auch so eine Einladung, einfach mal zu hinterfragen: „Wie sieht es denn bei mir eigentlich aus? Kann man meine Website eigentlich gut besuchen, wenn man gewisse Einschränkungen hat? Möchte ich vielleicht in meinen Kursen noch irgendwas ergänzen, dass die besser zugänglich sind, auch für alle Menschen?" Ich glaube, das ist immer wieder mal eine gute Einladung, die Augen offen zu halten und die Ohren offen zu halten oder was wir eben an Möglichkeiten haben, um uns herum ein bisschen Gerechtigkeit vielleicht auch zu schaffen, auch wenn wir nicht laut, stark irgendwo für etwas eintreten.
Ja, ich würde noch gerne auf einen Aspekt zu sprechen kommen, und zwar die Wirtschaftlichkeit. Ich habe ganz viele Menschen in meinem Umfeld unter meinen Kund: innen, die sagen: „Hey, ich wünsche mir auch mehr Ethik in meinem Marketing Ich wünsche mir, dass sich das auch besser anfühlt, dass sich das gerechter anfühlt, aber ich habe Angst, dass das mein Business dann wirtschaftlich nicht aushält." Also dass, wenn ich nicht so laut meinen Call to Action formuliere wie „Kauf jetzt, denn morgen ist es zu spät und es wird nie mehr wieder kommen", dass dann eben niemand bucht, denn natürlich funktionieren diese Prinzipien ja auch. Du schreibst in deinem Buch sogar, dass es wirtschaftlich sinnvoll sein kann, ethisches Marketing zu betreiben. Vielleicht können wir das noch so ein bisschen einordnen. Hilft uns ethisches Marketing, also auch mehr Geld zu verdienen oder zumindest nicht, dass unser Business wirtschaftlich den Bach runtergeht?
Alexandra Polunin:
Also ich glaube, auch da müssen wir so ein bisschen differenzieren. Auf der einen Seite kann man schon feststellen, dass Verkaufen auch heute so ein bisschen anders funktioniert als vor, weiß ich nicht, 40, 50 Jahren. Also mir fällt jetzt so spontan diese, wie hieß sie denn, Frau Renate, diese Dr. Oetker-Werbung aus den 50ern, wo die irgendwie einen Pudding backt, herstellt für ihren Peter, also diese alte Dr. Oetker-Werbung. Und früher war es halt so: Wenn ich Fan von der Marke bin, bin ich halt Fan von der Marke und dann kaufe ich die halt immer. Also dann mache ich halt jeden Sonntag den Dr. Oetker-Pudding oder was weiß ich. Und das ist halt heute nicht mehr so. Wir haben nicht mehr diese große Loyalität zu Marken, sondern Menschen kaufen bewusster ein. Ihnen sind Werte wichtiger. Ihnen ist zum Beispiel das Thema Nachhaltigkeit wichtiger. Ihnen ist wichtig, ja, wie wurden meine Sachen hergestellt? Natürlich nicht für alle, aber es gibt eben Erhebungen, die zeigen, dass Menschen immer mehr danach kaufen. Und hinzu kommt eben auch, dass Menschen immer informierter sind. Wir haben es hier nicht mit Menschen zu tun, mit einer vagen Zielgruppe, die einfach nur jetzt hier kaufbereit ist, sondern die informieren sich vorab, die recherchieren.
Und wenn zum Beispiel, jetzt wieder aktuelles Beispiel, wo wir jetzt die Folge aufnehmen: Pride. Wenn jetzt jedes Unternehmen ihr Logo einfärbt in Regenbogenfarben, in einem Monat später dann nicht und in anderen Teilen der Welt schon gar nicht, dann sind die Menschen ja auch nicht blöd. Die können das genau einordnen und denken: „Das ist aber schon irgendwie widersprüchlich. Hier färbst du es ein, in Russland färbst du es nicht ein. So what's up? Entweder bist du jetzt für Diversität und Vielfalt oder halt nicht." Das heißt, die Zielgruppen, die sind auch viel kritischer geworden und sie erwarten, dass es auch widerspruchsfrei ist, was man da macht und dass man sich überlegt, was man da macht, dass man für Werte einsteht und nicht irgendwie so plump, sondern halt eben auch glaubwürdig. Und was halt noch mit hinzukommt, ist das Thema digitale Medien, dass Feedback sich rasend schnell verbreitet. Das gilt natürlich für Unternehmen mehr, aber ich habe, als ich noch auf Social Media war, so viele Beispiele auch von Einzelunternehmer: innen gehabt, wo tatsächlich irgendwas war und es so in dieser kleinen Marketingbubble, in der ich war, auch echt dann viral gegangen ist. Also dass Leute sich über jemanden aufgeregt haben, auch so Shitstorm-mäßig.
Das habe ich auch wirklich bei Selbstständigen erlebt. Das ist nicht nur etwas, was in großen Unternehmen vorbehalten ist. Insofern würde ich sagen, die Voraussetzungen für das Marketing haben sich jetzt verändert in den letzten Jahren. Und wenn man sich dann jetzt noch mal anguckt, wie Unternehmen wie beispielsweise Patagonia Marketing machen, finde ich das unglaublich spannend. Wenn man bei denen mal öfter auf der Website ist, die haben zum Beispiel im Header einfach mal eine Petition, also wo jetzt jeder Marketingcoach sagen würde: „Hey, im Header platzierst du deine wichtigste Botschaft, da platzierst du deinen wichtigsten einen Call to Action, vielleicht den Link zum Shop, keine Ahnung was, aber nicht eine Petition." Nein, tun die. Und manchmal sagen die zum Beispiel auch: Hey, kauft diese Jacke nicht, weil wir kaufen alle zu viel. Und an dem Tag haben die dann 30% mehr Umsatz oder die haben zum Beispiel einen Reparaturservice. Das heißt, eigentlich will doch ein Unternehmen, dass man immer mehr Produkte von denen kauft, aber die sagen: „Hey, wenn unsere Kleidung, die auf Langlebigkeit aus ist, kaputt ist, dann kommt hier eine Anleitung, wie du sie reparierst, weil uns ist das wichtig. Und ich finde, dieses Beispiel zeigt, wie glaubwürdig und integer so eine Marke nach außen auch wirken kann.
Also ich maße mich jetzt nicht an, zu sagen, wie es im Inneren aussieht. Das weiß ich natürlich nicht, aber zumindest außen wirkt das alles sehr, sehr stimmig. Und es gibt ganz, ganz viele treue Fans von dieser Marke, was halt immer schwieriger wird in der heutigen Zeit. Insofern ist das halt einfach so ein Beispiel dafür, wie es gehen kann, wenn man sehr wertebasiert und nach außen auftritt und für etwas einsteht. Also wenn man so einen Purpose hat, also so einen Sinn des Unternehmens, den man verfolgt, kann es sich sehr, sehr als positiv erweisen. Auf der anderen Seite, was du auch noch mit erwähnt hast, ist es natürlich so, wenn ich aufhöre, Druck zu machen, Stress zu machen, ist natürlich die Frage: Was passiert dann? Meine Beobachtung ist, dass es halt auch einfach sehr, sehr viel mit Geschäftsmodellen zu tun hat, was dann passiert. Das bedeutet, wenn ich das Geschäftsmodell launchen habe als Unternehmerin, als Selbstständige und jetzt sage: „Aber ich launch nicht mehr richtig", ja, dann kann das natürlich sein, dass das Launchen so nicht mehr funktioniert. Und dann ist für mich aber nicht die Frage, ob ethisches Marketing funktioniert, sondern ob ich dieses Geschäftsmodell noch weiter betreiben will oder vielleicht nicht sagen will, vielleicht ist es auch letzten Endes das falsche Geschäftsmodell für mich.
Vielleicht will ich meine Tage gar nicht so verbringen. Ich glaube, man ist als Selbstständige sehr schnell dabei, dass man skalieren muss, dass man launchen muss, dass man alles immer größer aufbauen muss. Aber seit ich das auch nicht mehr mache, begegnen mir so viele Leute, die sagen: „Nein, was ich mache, ich arbeite eins zu eins mit Menschen zusammen und das reicht mir und das finde ich so viel besser. Oder die sagen: „Hey, ich habe ein bestimmtes Thema und ich halte einfach voll gerne Vorträge dazu und reise durch Deutschland und halte da Vorträge zu meinem Thema. Also auch das ist ein völlig anderes Geschäftsmodell. Deswegen finde ich das sehr schwer, diese Frage zu beantworten. Es kommt wie immer drauf an und ist dann mehr komplex.
Sonja Mahr:
Vielleicht kann man sich daraus auch ein bisschen den Mut, sich von festen Vorlagen zu lösen, rausziehen. Also gerade, wo du das Launchen ansprichst, ich erinnere mich noch, als ich damals das Launchen erlernt habe, "wie man das so macht", in Anführungsstrichen. Ich weiß noch, bei meinem ersten Launch habe ich das schon anders gemacht, weil ich dachte: Nein. Zum einen schaffe ich das nicht mehr von der Energie, das ging ja über viele Wochen, und zum anderen: Das fühlt sich einfach so falsch an. Und irgendwo schrillen dann die Alarmglocken: Nein, kann sein, dass das so klappt, aber ich mache das jetzt anders. Ich wandle das ab. Und dann kam eine ganz lange Launch-Geschichte in meinem Fall, wo ich immer wieder Dinge angepasst habe, weil ich einfach gedacht habe: Das ist aber nicht mein Weg. Und klar, ich bin da nicht dieser Vorlage gefolgt, aber das ist vielleicht auch, was wir alle machen und rausfinden dürfen: „Wie passt das denn für mich?" Wie werde ich auch der Verantwortung gerecht? Womit kann ich mich auch noch im Spiegel anschauen, wenn ich das in meinem Marketing umsetze?
Eines würde ich gerne noch vertiefen, das Thema "positive Beispiele": Wenn wir jetzt als Solo-Selbstständige sagen: „Hey, das klingt alles super. Ich will da auch ein bisschen mehr in die Richtung gehen, aber wer macht denn das wirklich so? Du hast gerade dieses eine Beispiel genannt mit dem Reparaturservice, weil wir nicht wollen, dass du gleich nachkaufst, sondern dass das länger hält. Das ist uns wichtig. Mit der Petition auf der Startseite. Gibt es da noch weitere positive Beispiele oder Möglichkeiten, was Unternehmen so tun, was wir uns abschauen oder wovon wir uns inspirieren lassen könnten?
Alexandra Polunin:
Also was ich superspannend finde als Unternehmen, ist das Unternehmen Einhorn. Kennst du vielleicht bestimmt? Genau. Und die haben ja so ein ganz, ich würde mal sagen, buntes, schrilles Marketing und ich finde, ihr USP ist auch so das Thema Humor. Also ein Thema ist ja zum Beispiel auch im Buch die Bepreisung. Und was man halt oft kritisiert, ist zum Beispiel, dass die mal charmante Preise, also die auf neun oder sieben enden und quasi das Produkt günstiger erscheinen lassen, als es ist. Und was Einhorn zum Beispiel macht, die bieten auf ihrer Website Horny Keynotes an und die kosten dann, weiß ich nicht, 6969. Also die spielen so gezielt mit diesem Neuner-Ding, aber wenden es so auf ihren Bereich an und ich fand das einfach nur großartig. Also das ist einfach mit Humor gemacht und ich fühle mich da auch gar nicht unter Druck gesetzt oder so, wenn ich da eine Neun am Ende sehe. Und das ist jeder mal ein schönes Beispiel dafür, dass es immer auch auf den Kontext ankommt. Also es geht gar nicht darum, da steht jetzt eine Neun, das ist jetzt blöd oder so, sondern in ihrem Kontext, die haben das mit so viel Witz verknüpft und diese Zahl 69 passt halt perfekt zu denen, die sind halt ein Kondomhersteller. Insofern finde ich großartig. Und was die auch machen, die haben sich ja so ein bisschen zum Ziel gesetzt, das ganze Thema nachhaltig zu machen, also dass sie auch viel über ihren Prozess informiert haben, auch über die Anbaugebiete und so weiter. Das heißt, die haben auch transparent einfach, oder zumindest wirkt das nach außen so, die Menschen teilhaben lassen an dem, wie sie zum Beispiel auch die Rohstoffe auswählen und wie die Herstellung vonstatten geht. Und auch gesagt, wenn das etwas noch nicht so ganz perfekt ist oder wenn es irgendwelche Hürden gibt, weiß ich das als Konsumentin dann ganz transparent. Und insofern wäre das vielleicht so ein nächstes Beispiel, wo man einfach mal gucken könnte, wie die das denn machen. Also das heißt ja nicht, dass das jetzt alles toll ist, was diese Unternehmen machen, sondern ich finde, die haben aber Elemente, die sehr, sehr spannend und inspirierend sein könnten.
Sonja Mahr:
Auf jeden Fall. Also es gibt schon Beispiele, die wir nicht übernehmen müssen, aber wo wir einfach mal schauen können, wie kann es denn auch gehen? Was gibt es denn für Alternativen zu diesem vielleicht einen Weg, den wir eben für uns nicht gehen wollen? Finde ich richtig cool. Wahrscheinlich gibt es im Buch noch viel mehr und es geht viel mehr ins Detail, wenn wir uns das anschauen. Vielen Dank für den Einblick.
Wenn jetzt jemand sagt: „Mensch, ich finde das spannend. Ich möchte gerne in die Richtung starten, welche Frage oder welchen Ansatzpunkt gibt es denn vielleicht, wo man gut mit ethischerem Marketing beginnen kann? Weil du hast eben auch gesagt, wir können nicht alles richtig machen, wir können nicht alles auf einmal machen. Was sind vielleicht so gute Startpunkte für ein größeres, ein besseres, ein für mich stimmigeres ethisches Marketing?
Alexandra Polunin:
Also ich finde vor allem Leute, die schon ein bisschen länger dabei sind, der wäre der erste Punkt für mich immer „Verlernen". Es ist wirklich so die Marketingkiste entrümpeln, weil da ist so viel Zeug drin, das hat schon Spinnweben und das ist super veraltet und es ist schon kaputt und kein Mensch braucht es mehr, aber es liegt herum und wird vielleicht noch benutzt und macht Dinge schlimmer, als sie sind. Insofern würde ich eigentlich allen so raten, Marie Kondo Style auszumisten. So was kann eigentlich weg? Was hat die Funktion erfüllt und was darf eigentlich bleiben? Und ich finde, dieses Verlernen, das klingt immer so langweilig und frustrierend, aber ich glaube, man hat schon einen großen Teil geschafft, wenn man problematische oder gar toxische oder unethische Marketingstrategien verlernt, also wenn man die gar nicht mehr nutzt. Wenn ich jetzt zum Beispiel sage: Hey, ich habe die ganze Zeit gesagt, nur noch heute und Rabatt und keine Ahnung, und Ich mache das jetzt einfach nicht mehr. Hey, das ist doch schon großartig. Klar, und dann ist natürlich die Frage: Womit ersetze ich das? Also wenn ich Dinge verlerne, was kommt denn da neu hinzu? Und mein Vorschlag ist, also ein guter Startpunkt sind immer Werte, Unternehmenswerte.
Ein weiterer guter Startpunkt ist immer der Purpose, also habe ich vielleicht einen tieferen Sinn, den ich verfolgen will mit dem, was ich tue? Das hilft mir dabei, morgens auch irgendwie aufzustehen und gerne das zu machen, was ich tue. Ich habe ethische Prinzipien erwähnt. Das bedeutet, ich kann mich einfach fragen: Ich kann bei mir starten. Werde ich der Verantwortung mir gegenüber zum Beispiel gerecht? Also im Sinne von faire Arbeitszeiten, Pausen, Urlaub oder beute ich mich selbst aus? Habe ich vielleicht unrealistische Erwartungen an das, was ich mache? Habe ich unrealistische Marketingziele, Businessziele? Das ist alles für mich eine Form von Verantwortung sich selbst gegenüber. Und wir können das natürlich immer größer denken und letzten Endes auch auf die Umwelt anwenden. Das hört nie auf im Grunde.
Sonja Mahr:
Vielen Dank. Eine Möglichkeit, einzusteigen, ist es auch, sich dein Buch anzuschauen, "Don't be evil" zu lesen, vielleicht mal den eigenen Horizont in diesem Bereich etwas erweitern, mal zu schauen, in welche Richtung kann ich denn überhaupt alles denken.
Wenn jetzt jemand sagt, wo finde ich denn weitere Informationen über Alex? Wie kann ich außerhalb des Buchs oder über das Buch hinaus mit dir arbeiten? Wie geht man da am besten vor?
Alexandra Polunin:
Ich würde sagen, am besten auf meiner Website. Da steht immer alles da, was wichtig ist und das ändert sich manchmal. Deswegen ist da immer ein guter Startpunkt.
Sonja Mahr:
Sehr gut. Herzlichen Dank für dieses wieder sehr spannende und ich finde auch sehr, sehr inspirierende Gespräch. Ich hoffe, für euch Zuhörende ist was Spannendes dabei. Vielleicht habt ihr mal Lust, in das Thema tiefer einzusteigen. Schnappt euch gerne das Buch von Alex. Ich verlinke es natürlich auch in den Show Notes. Und ja, ganz, ganz viel Freude beim Entdecken eures ethischen oder ethischeren Marketings. Danke, dass du da warst, Alex.
Alexandra Polunin:
Vielen Dank.






